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Dies war unser erster Besuch in den Masuren und in Mrągowo. Der Aufenthalt hatte für mich eine besondere Bedeutung. Denn ich wollte in dieser Kleinstadt, die einst Sensburg hieß, den Spuren der väterlichen Familie meiner Mutter folgen.
Karte
Wieder lagen etwa vier Stunden Fahrt vor uns, obwohl wir auf dieser Etappe nur gut 300 Kilometer zurücklegten. Doch gerade auf polnischer Seite führte die Route durch bekannte Ferienorte, die jetzt in der Saison – zumal an einem Sonntag – gut besucht waren.
„Die Masuren sind eine ethnokulturelle Region in der im Norden Polens gelegenen Woiwodschaft Ermland-Masuren bzw. im Süden der früheren preußischen Provinz Ostpreußen“, schreibt Wikipedia. die Region hat eine bewegte Geschichte und eine bemerkenswerte Natur.
Fünf Nächte wollten wir bleiben. Dazu hatte ich ein gemütliches Gasthaus mit schöner Grünanlage gleich neben dem Czos-See gebucht. Wir bezogen in der Pension ein einfaches Doppelzimmer mit Bad und kleinem Balkon. Schmackhaftes internationales und auch polnisches Frühstück gab es im gemütlichen Kellergewölbe des Haupthauses.
Unser betagter polnischer Gastgeber mit deutschen Wurzeln fragte nie, warum ich Polnisch spreche wie ich es spreche. In dieser Gegend ist es wohl normal, dass Deutsche mit polnischem Hintergrund anreisen. Auch viele der polnischen Aussiedler, die Polen in den schlechten Zeiten verlassen hatten, haben sich die Sprache erhalten. Dass ich Polnisch als Fremdsprache gelernt hatte, wurde einfach nicht gewürdigt 🙂
Getroffen haben wir auch Deutsche, deren Verwandte zum Ende des Zweiten Weltkrieges vertrieben wurden oder die Ostpreußen nach dem Krieg verlassen mussten. Einige kommen jährlich, um Familien- oder Kriegsgräber zu pflegen.
In dieser Tradition sah ich mich in keinem Fall. Denn meine hochgebildete und in ihren Zwanzigern weit gereiste Urgroßmutter hatte Ostpreußen 1880 – dreißigjährig – der Liebe wegen endgültig Richtung Berlin verlassen. Sie prägte mit ihrer Bildung und ihren Erfahrungen die väterliche Familie meiner Mutter und auch meine Mutter selbst. Bis 1944 gab es zudem noch enge Verbindungen nach Ostpreußen zum „Rest“ der Familie. Von diesen Aufenthalten stammen die lebhaften Kindheitserinnerungen meiner Mutter, die sie allerdings erst in späten Jahren geteilt hatte. Wobei – zum Ende des Aufenthalts holte mich die Kriegs-Thematik in Szestno doch noch ein. Denn eine Schwester meiner Urgroßmutter hatte dort noch 1945 gelebt.
Die Masuren sind ein Ort zum aktiv sein, Entspannen und Genießen – ein unvergleichliches Naturparadies mit einer idyllischen, beinahe märchenhaften Landschaft zum Teil verwunschen wirkender Seen. (Quelle: geo.de) In meiner späten Schulzeit verbrachten Mitschüler dort ihre Ferien beim Kanu fahren.
Kanu fahren ist heute noch sehr populär. Dass die Natur in Takt ist, zeigten auch die vielen Störche. die wir in einer solchen Zahl noch nie gesehen hatten.
Das geschichtsträchtige Stück Erde hat sehr viel mehr zu bieten als die Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts. Die Gegend ist Kreuzritterland, was im Übrigen bereits in Litauen beginnt. Spuren der Ordensritter fanden wir an vielen Stellen auf unserer Reise.
Wir hatten noch ein drittes Ziel: die polnische Küche genießen. Norbert ließ sich gern von mir anstecken. Am Ende hatten wir Żurek – die berühmte Sauermehlsuppe der polnischen Küche – in allen verfügbaren Varianten ausprobiert, dazu viele andere Köstlichkeiten.
Ironie dieses Aufenthalts:
Durch mein Studium sollte ich mich mit der Geschichte, der Literatur und der Landeskunde von Polen, des alten Russlands und der Sowjetunion auskennen. Und doch hatte ich erst nach dem Finden der Gesprächsprotokolle meiner Urgroßmutter im Nachlass meiner Mutter verstanden, dass die polnischen Masuren einst Teil von Ostpreußen waren. Vorher hatte diese Tatsache nie eine Rolle gespielt. Und obwohl ich in Polen verheiratet war und privat wie beruflich viele Gegenden des Landes kennenlernen konnte, war die einzigsartige Landschaft der Masuren für mich absolutes Neuland. Jetzt erschien mir alles hier unheimlich vertraut.
Auf den Aufenthalt in Mrągowo hatte ich mich gut vorbereitet. Doch die Google-Trefferliste, die mir in Deutschland angezeigt wurde, wies wohl Lücken auf. Denn als ich in Südfinnland für die Feinplanung der nächsten Tage erneut Dr. Google befragte, traute ich meinen Augen nicht.
Die Überraschungen betrafen die Oma väterlicherseits meiner Urgroßmutter Ottilie: Justyna Timnik. Bei ihr hatte meine Urgroßmutter als kleines Mädchen über Jahre gelebt. Justyna erzog ihre Enkelin in aristokratischer Tradition, so dass sie als ganz junge Frau Anstellungen als Gouvernante und Hauslehrerin in Adelshäusern bis hin nach Petersburg fand.
Justyna Timnik war/ ist in Sensburg bzw. Mrągowo eine Größe, der sogar ein Wikipedia-Eintrag in polnischer Sprache gewidmet ist. Auch der City-Guide von Mrągowo nennt ihren Namen an mehreren Stellen.
Diese Fakten kannte ich nicht:
Das alles, vor allem aber Punkt 3, bot viel Stoff für weitere Nachforschungen, die uns wahrscheinlich irgendwann nach Reszel (Rößel) und ins litauische Vilnius führen werden. Wie schade, dass ich niemanden mehr aus der Familie fragen kann! Der große Altersunterschied zwischen den Eltern meiner Mutter, die Kinderlosigkeit der meisten der Geschwister meines Opas, aber auch die Ost-West-Problematik, durch die ich die erweiterte Großfamilie nie kennenlernen konnte, standen dem entgegen. Und dabei hatte ich mit der Familien-Chronik schon sehr viel in der Hand.
So besuchten wir, wie ursprünglich geplant, in diesem Urlaub Mrągowo, Tymnikowo und Szestno, also die Orte, an denen Ottilie in Ostpreußen als Kind, Jugendliche und zwischen ihren Anstellungen auswärts als sehr junge Erwachsene gelebt hatte, sowie Szczytno (Ortelsburg), von dem meine Mutter so viel erzählt hatte. Es wurden sehr viele neue Eindrücke. Was wir gesehen und erfahren haben, hat mich regelrecht „erschlagen“. Nach vier Tagen brachen wir ab. Aber wir werden besser vorbereitet, mit neuen Erkenntnissen – und sehr viel mehr Zeit – wiederkommen, denn Landschaft und Historie hier haben mich zutiefst beeindruckt, die Küche eh 🙂